Donnerstag, 8. Oktober 2015

Per PKW unterwegs in Europa...

... das ist ein fast ungetrübtes Vergnügen.
Ende September brachen wir nördlich von Hamburg auf nach Wien. Unterwegs legten wir eine Zwischenübernachtung mitten in der Altstadt von Pirna ein. Dort ist es echt nett! Am nächsten Tag ging es an Prag vorbei bis in die österreichische Hauptstadt. An der Grenze zu Tschechien warfen wir einen geschockten Blick auf die Gegenrichtung: Kilometerlanger Stau wegen der aktuellen Grenzkontrollen. Oh je! Da müssen wir in zehn Tagen auch durch! Außerdem müssen wir zweimal anhalten, um ein "Pickerl" zu erwerben: Eines für die CSSR und eines für Österreich. Und das für teilweise üble Straßen! Wieso eigentlich rollen alle PKWS unentgeltlich über unsere schönen Autobahnen? (Ja- ich weiß: Deutsche zahlen ihre Straßen über die KFZ-Steuer - doppelt zahlen wollen wir nicht. Und in der EU gilt die Gleichbehandlung. Aber trotzdem: Eine fairere Lösung als derzeit muss doch möglich sein???)
In Wien beziehen wir eine großartige Altbauwohnung im 18. Bezirk. Die U-Bahn ist gleich um die Ecke und wir sind mit ihr in 15 Minuten am Stephansplatz. Unser Auto parkt die fünf Tage friedlich in einer Nebenstrasse ohne Kurzparkzone - perfekt!
Später fahren wir weiter ins Burgenland. Mit unserem Auto umrunden wir den Neusiedler-See. Plötzlich sind wir in Ungarn - von einem Landstraßenabschnitt zum anderen - und finden das wunderschön.
Vier Stunden später rollen wir in Prag ein - eine ganz herrliche Stadt. Wir verbringen zwei sehr nette Abende mit unserem Sohn, der dort gerade sein Auslandssemester absolviert. Prima, dass wir ihn so problemlos besuchen können. Allerdings gilt in der CSSR der Euro nicht - da müssen wir doch wieder im Kopf hin und her rechnen. Das macht aber sogar Spaß, weil Restaurant- und Barbesuche für uns super günstig sind.
Auf der Rückreise nach Hamburg haben wir an der Grenze Glück - kein Stau! Trotzdem werden wir mit unserem kleinen Auto heraus gewinkt. Die Bundespolizei möchte unsere Ausweise sehen. Dann gucken sie tatsächlich in unseren Kofferraum. Es ist der eines Cabrios! Da hätten wir höchstens einen Flüchtling drin verstecken können. Und der hätte den Kohl ja wohl auch nicht fett gemacht! Trotzdem sind wir natürlich froh, dass uns ein langer Grenz-Stau erspart geblieben ist. Wenn alles normal läuft in Europa, dann ist es auf jeden Fall nett, auf der Fahrt von einem Land zum anderen dort unterwegs zu sein!      

Dienstag, 1. September 2015

Liebe "trotz"...

Im August 2015 verbrachten wir als Ehepaar bereits das fünfte Mal zwei bis drei Wochen Urlaub in Irland. Das war immer eine Zeit, in der sogar in unserer Heimat Norddeutschland ganz passables Sommerwetter herrschte. In Irland knackten wir dagegen selten die 20 Grad Marke. Abends noch draußen zu sitzen, kann man in der Regel vergessen. Und wir sind ganz oft klatschnass geworden. In Irland ist das nämlich so: Man bricht bei strahlendem Sonnenschein in T-shirts und kurzer Hose zu einer Wanderung auf. Wenn man mitten im nirgendwo ist und die wunderbare Landschaft genießt, zeigt sich plötzlich eine kleine dunkle Wolke. Innerhalb von Minuten ist der Himmel schwarz und es schüttet wie aus Eimern. Deshalb muss man seine Regenjacke ständig mit sich rum schleppen. Warum wir trotzdem immer wieder Sommerwochen in Irland verbringen? Na ja – wir lieben dieses Land! Die grandiosen Landschaften, die Weite des Himmels, die glücklichen Kühe überall auf den saftig grünen Wiesen. Das ist tatsächlich genau so wie in der Kerry-Gold-Werbung! Wir lieben die Iren, ihren Hang zum Geschichten erzählen, zum Ausschmücken und Übertreiben. Wir genießen die Abende im Pub, die „Wohnzimmeratmosphäre“ dort, jedenfalls in den kleinen Pubs auf dem Land. Iren haben Temperament, das sich in spontanen Musik- und Stepptanzeinlagen an so manchem Pub-Abend Bahn bricht und uns mitreißt. Das Essen im Pub ist relativ günstig und lecker. Die Iren können einfach fantastisch gut braune Soßen zu Fleischgerichten zaubern. Ich liebe braune Soßen, der Gatte schätzt Guinness und ich bekomme in Irland’s Pubs außerdem die besten Irish Coffee der Welt. Und wenn wir abends „Zuhause“ sind, in einem saugemütlichen Cottage, dann ist es egal, dass wir nicht draußen sitzen können. Dann genießen wir das knisternde Kaminfeuer, angeheizt durch irischen Torf. Nein, es ist nicht schön, mitten im Genuss atemberaubender Natur plötzlich bis auf die Haut durchnässt zu werden! Und dabei zu wissen: In zwei Stunden steigen wir immer noch feucht ins Auto und brauchen dann nochmal ne halbe Stunde bis zur heißen Dusche und zum Torffeuer. Aber der Genuss ist das „trotz“ alle Mal wert! Den nächsten Sommerurlaub werden wir vermutlich wieder in Italien verbringen. Wärme und mitternächtliche Stadtbummel, nur leicht bekleidet, mögen wir ja auch. Aber 2017 heißt es sicher wieder: Irland. Wir lieben dieses Land trotz des Wetters – und sind sehr dankbar, dass wir es als ein Lieblingsreiseland in unserem Leben entdeckt haben.       

Mittwoch, 29. Juli 2015

Dankbarer Wessie

Neulich war ich mal wieder ein paar Tage in Berlin. Das hat mich zu einer fiktiven Geschichte inspiriert. Kurztextleser brauchen Geduld. Auf Papier ist sie 1 1/2 Seiten lang.

OHNE NERVEREIN

„Dankeschön!“ sagte Ulrike und grabschte sich das vollste Sektglas vom Tablett. Gierig nahm sie einen großen Schluck. Das tat gut! Jetzt erst mal die Lage peilen!
Offensichtlich ließ Tante Rose-Marie sich zur Feier ihres 75. Geburtstages nicht lumpen. Ihre Zeiten als arme Ossi-Verwandte waren vorbei, seit sie nach der Wende das riesige Grundstück im Osten Berlins verkauft hatte. Die baufällige alte Villa samt Plumpsklo war damals sofort abgerissen worden. Ein Glück! Ulrike erinnerte sich an viele gruselige Stunden dort.
Zu ihrem heutigen Ehrentag hatte die Tante ein ganzes Schiff der Berliner Reederei Riedel gemietet. Für drei Stunden würde es die Festgäste an diesem herrlichen Julinachmittag über die Spree und den Landwehrkanal schippern. Das Freiluftoberdeck sah wunderschön aus: Weiß eingehusste Tische und Stühle, grüne Akzente mit edlen Palmen und Farnen. Da könnte einem das Herz aufgehen. Es sei denn, man wäre lieber woanders. So wie Ulrike jetzt gerne in Köln bei ihrer Mama im Krankenhaus wäre. „Kommt gar nicht in Frage“, hatte ihr Stiefpapa Lutz gestern gesagt. „Ich bin da und kann den gebrochenen Fuß von Frederike streicheln. Du fährst mal schön nach Berlin und vertrittst deine Mutter!“ Seufzend hatte Ulrike sich in ihr einsames Schicksal ergeben. Ihr Gatte ist auf Geschäftsreise, Söhnchen macht ein Auslandssemester – den letzten beißen die Hunde.       
„Ulrike! Schön, dass du es doch noch geschafft hast! In deinem Alter läuft es sich in High Heels wohl nicht mehr so flott? Und warum hast du dich in ein  Etuikleid gezwängt?“ Super. Rose-Marie hatte sie erspäht. Ulrike hob ihr Sektglas und ließ es gegen das der Tante scheppern. „Herzlichen Glückwunsch – Tantchen! Den Modemut habe ich wohl von dir abgeguckt.  So ein ärmelloser Einteiler ist ja gewagt jugendlich -  hat was von einem Strampelanzug.“ Im Stillen musste Ulrike zugeben, dass der schwarze Overall und der bunte Seidenschal der sportlichen alten Dame sehr gut standen.    
Ehe Rose-Marie zu einer spitzen Entgegnung ansetzen konnte, mischte sich ein Mann in den Schlagabtausch, der bisher lässig an der Reling gelehnt hatte. Ulrike hatte ihn schon aus dem Augenwinkel wahr genommen und war schwer beeindruckt. So ein attraktives Exemplar hatte sie schon lange nicht mehr in echt gesehen: Groß, sportlich, volles dunkles Haar, graue Schläfen und ein Grübchen im markanten Kinn. Als er sich zu den Beiden stellte, blickte sie in leuchtend blaue Augen. Wow! „Mutter, du wirst unter Deck gebraucht“, sagte er zu ihrer Tante, „du musst das Büffet begutachten.“ „Willst mich wohl los werden“, grummelte Rose-Marie, schob dann aber doch ab. „Mutter?“, fragte Ulrike völlig fassungslos, „du bist Erik? Mein kleiner Vetter?“ „Klein ist gut“, grinste Erik, der sie mindestens um einen Kopf überragte. „Freut mich, dass du mich nicht wiedererkannt hast! Als wir uns zum letzten Mal gesehen haben, war ich 13, pickelig und ungelenk. Du hast dich zum Glück nicht so sehr verändert. Hast immer noch diese Ähnlichkeit mit Doris Day.“ „Und eine 53-jährige Doris Day findest du gut?“  So, wie Erik sie anschaute, bestand kein Zweifel, dass er seine Cousine sogar attraktiv fand. Und das war auch früher schon so gewesen, erinnerte sie sich. Sie hatte es lästig gefunden.
So, wie ihr alles lästig gewesen war, was mit Tante Rose-Marie und Woltersdorf, dem Geburtsort ihrer Mutter, zusammen hing. Jedes Jahr hatte sie mit Frederike diese Reise nach Brandenburg unternehmen müssen:  Von Köln mit dem Zug die Transitstrecke bis in die „Hauptstadt der DDR“, dann die Einreiseformalitäten am Bahnhof Friedrichstraße. Am Ende stand die holprige Fahrt mit der alten Straßenbahn bis Woltersdorf. Als kleines Kind war Ulrike immer völlig verstört gewesen, wenn die unfreundlichen, schwer bewaffneten Grenzbeamten sie kontrollierten. Als Teenager fand sie die DDR einfach nur trostlos. Seit sie 18 geworden war, hatte sie die Verwandtenbesuche verweigert.
„Mutter kann dich eigentlich gut leiden“, behauptete Erik gerade. „Ja klar! Deswegen hat sie mich früher bei jeder Gelegenheit runter geputzt! Und gerade wieder!“ „Na ja – schließlich warst du der Grund dafür, dass ihre geliebte kleine Schwester kurz vor dem Mauerbau rüber gemacht hat.“ „Einspruch“, rief Ulrike empört. „Im August 1961 war ich ein winziger Embryo!“ Frederike war damals 19 gewesen. Sie hatte sich in den jungen Studenten aus Köln verliebt, der für eine Weile bei seinen Großeltern in Woltersdorf zu Besuch war. Als ihr klar wurde, dass sie schwanger war, war der junge Mann längst wieder im Westen. Frederike hoffte, ihn in Köln zur Heirat zu bewegen. Das hatte nicht geklappt, aber Frederike gefiel es am Rhein und sie beschloss, zu bleiben. Das hatte vor allem etwas mit Lutz zu tun… „Bei Liebeskummer handelt man schon mal unvernünftig“, sagte Erik. „Ich zum Beispiel hatte ein Foto von dir unter meinem Kopfkissen.“ Ulrike wurde rot. Der Mann kann aber auch intensiv gucken!  Erik hatte übrigens eine umwerfend rassige Ehefrau und zwei bildschöne Töchter. Die konnte sie nur auf Fotos bewundern. Sie waren zurzeit anlässlich einer Taufe bei der italienischen Familie in Mailand.
Später am Abend bummelten Cousin und Cousine „Unter den Linden“ bis zum Brandenburger Tor. Ulrike hatte ihre High Heels gegen Flipflops ausgetauscht und fühlte sich herrlich unbeschwert. „Früher war es hier so trostlos“, sagte Erik. „Wie oft habe ich hier gestanden und sehnsüchtig auf die andere Seite des Tores in die Freiheit gestarrt.“ Und Ulrike, die sich plötzlich erinnerte, dass ihr kleiner Vetter Fan von Lindenberg gewesen war, sang – nicht treffend, trotzdem passend:  

„Mädchen aus Ostberlin, das war wirklich schwer. Ich musste gehen, obwohl ich so gerne noch geblieben wär. Ich komme wieder...und vielleicht geht's auch irgendwann mal ohne Nerverein. Da muss doch auf die Dauer was zu machen sein.“

Montag, 27. Juli 2015

Gastfreundschaft - wie geht das?

HERZLICHE EINLADUNG

Für Leila und Masoumeh

Wenn ihr mögt, hole ich euch Mittwoch um 16.00 am Penny-Parkplatz ab.
Wir fahren dann zu mir nach Hause. Gegen 17.30 machen wir ein deutsches „Abendbrot“ (Brot, Brötchen, Käse, Wurst vom Hühnchen…)
Und ich fahre euch gegen 18.30 wieder zum Penny-Parkplatz.
Ich würde mich freuen, wenn ihr meine Gäste seid. Und bitte: bringt nichts mit. Kein Geschenk. Ich möchte einfach nur gastfreundlich sein. Und freue mich auf einen „Frauennachmittag“.

Das ist jetzt mal ein Versuch von mir, "offiziell" zwei liebe iranische Frauen so einzuladen, dass keine Fragen offen bleiben. Bin gespannt, ob das funzt. Im Iran ist es üblich, teure Gastgeschenke zu machen. Und das können sich die Beiden nicht leisten. Noch immer warten sie auf ihren Pass - und somit auch auf die Chance zu arbeiten. 
Die Beiden sind Nachbarinnen in ihrer Flüchtlingsunterkunft. Leila ist Mitte 30 und wird gerade Christin. Ich denke, weil ihr Mann das hilfreich findet. Leila ist nur wegen ihm aus dem Iran geflohen. Ihr selbst und ihren Eltern ging es ganz gut. Leila hatte sogar ein eigenes Auto. Aber ihr Mann war dem Staat halt ein Dorn im Auge...
Masoumeh ist 40 und mit ihrer Tochter vor gut einem Jahr nach Deutschland gekommen. Die genaue Geschichte weiß ich noch nicht. Jedenfalls ist sie Anwältin. Um als solche bei uns wenigstens mal ein Praktikum machen zu können, muss sie anspruchsvolle Deutschprüfungen bestehen. 
Unterhalten kann man sich auf deutsch mit beiden Frauen schon erstaunlich gut. Ich habe große Hochachtung vor der Intelligenz und dem Fleiß der Beiden. Mein Traum ist, dass ich ihnen einfach durch "Plaudern" helfen kann, im Deutschen perfekter zu werden. Und ich hoffe, ein "deutsches Abendbrot" kann dabei eine natürliche Brücke werden. 
  



Sonntag, 5. Juli 2015

Zeitreisen sind DOCH möglich

Vor über 30 Jahren waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft: Die Fussballer des ersten sportmissionarischen Teams von SRS mit ihren damaligen Freundinnen. Der Gatte und ich haben schöne Erinnerungen an Einsätze in ganz Deutschland mit einer wunderbaren Truppe.
Heute sind die meisten dieser Paare eben schon über 30 Jahre verheiratet.
In dieser Woche trafen wir uns zu drei dieser "Ehemaligen-Paare" im Hotel Glockenspitze im Westerwald. Dieses Sporthotel gehört heute zu SRS.

www.glockenspitze.de

Beim gemeinsamen Abendessen war es so, als hätte es diese 30 Jahre nicht gegeben. Die Vertrautheit von früher war sofort wieder da - und die vielen "wisst-ihr nochs" machten einfach nur Spaß. Natürlich haben wir alle unterdessen unsere Leben gelebt - mit Höhen und Tiefen. Der Gatte und ich waren die Einzigen ohne Enkel - und Enkel bringen ja noch mal richtig viel Neues ins Leben. Trotzdem waren wir an diesem Abend nur "wir". Und es tat gut zu erleben, dass über 30 Jahre unterschiedliche Entwicklung für eine Beziehung keine Rolle speilen müssen.

Dienstag, 23. Juni 2015

Eine Familie, die Spaß zusammen hat...

...wenig scheint mir besser.
Letztes Wochenende trafen wir uns zu 13 Familienmitgliedern an einem wunderbaren Ort:
www.hof-hubbermann.com

Der Gatte und ich waren die Stammes-Oberhäupter über 50. Wir haben jeder einen Bruder, der bald 50 wird. Einer war mit Familie dabei - der Ehefrau und zwei Kids zwischen 5 und 11. Der andere Bruder brachte seine Lebensgefährtin mit, die auch schon seit fünf Jahren zur Familie gehört. Unsere drei Kinder zwischen 25 und 29 waren dabei - eine Tochter mit Ehemann, die andere mit Freund. Eine große Altersspanne also. Das machte aber nix!
Alle von uns genießen wunderschöne Natur. Und die gibt es reichlich um den Hof. Wir waren aufgeteilt auf zwei FeWos am See und zwei Häuser im Wald - alles so drei Minuten Fußweg auseinander.
Gefeiert haben wir in und vor der Hütte am See - so richtig mit lauter Partymusik und keinen hat's gestört. Wir singen und tanzen halt alle gerne - quer durch die Generationsunterschiede.
Ein weiteres Highlight waren die beiden Frühstücke für alle, die Frau Hubbermann in ihrem Bauernhaus zelebriert hat. Die waren reichlich und lecker - und es ist echt entspannend, wenn man als Gruppe nicht auch noch die Frühstückszutaten ankarren muss.
Gefunden haben wir diesen genialen Treff im Internet. Wir waren auf der Suche nach einer Location, die vom Ruhrpott, dem Sauerland und Schleswig Holstein jeweils ungefähr gleich weit entfernt ist.
Falls wir alles anständig hinterlassen haben - dann wird das vielleicht nicht das letzte Familientreffen in Visbek gewesen sein.  

Mittwoch, 17. Juni 2015

Sterbebegleitung

Diese Erinnerungen von mir sind im "lebenslust"-Special "Gute Besserung" neulich erschienen.

„Herzliches Beileid noch mal“, sagte die Nachtschwester zu mir, nachdem sie meinen Papa, der gerade für immer eingeschlafen war, frisch und sauber gemacht hatte. Dabei drückte sie mir herzlich die Hand und fügte hinzu: „Danke, dass sie die letzten Tage bei Ihrem Vater geschlafen haben. Sie haben uns sehr entlastet. Er war ja ein  schwieriger Patient.“
Na! Das hatte die Gute sehr höflich ausgedrückt! Mein heißgeliebter Papa war ein Albtraum von Patient gewesen! Dabei war er bis zum Endstadium seiner Krebserkrankung ein wirklich charmanter Herr in den Siebzigern. Gerade mit Krankenschwestern hatte er es gut gekonnt. Während zahlreicher Krankenhausaufenthalte meiner Mutter hatte er mit Legionen von ihnen fröhlich geschäkert und ihnen ein Lächeln auf ihre Lippen gezaubert. Lächelnde Krankenschwestern und Pfleger suchte ich vergeblich, als ich vorübergehend meine Zelte in Schleswig Holstein abgebrochen hatte, um ihm im Sauerland beizustehen. Seine Leber hatte begonnen zu versagen. Als ich das zweite Bett in seinem Privatzimmer bezog, konnte er seines schon nicht mehr verlassen.
So sehr sein Körper auch zusehends verfiel – sein Kopf war bis zum Schluss ganz klar. Und er wusste genau, was er wollte. Und auch, was er nicht wollte. Nachdem ich einen halben Tag bei Papa verbracht hatte, wurde mir klar, welchen Streifen das bedauernswerte Pflegepersonal schon sechs Tage lang mit gemacht hatte. Der rechte Daumen meines Vaters funktionierte noch ganz hervorragend und betätigte ständig den Klingelknopf. War das Fenster zu, musste es geöffnet werden, stand es offen, musste es unbedingt zu. Sein Wasser war alle, er wollte eine Schmerztablette, einen Kaffee - und immer wieder erwartete er eine Tasse Brühe. Er „erwartete“ – genau das war das Problem. Da kam kein „Bitte“ oder „Danke“ – er behandelte Schwestern und Pfleger wie Bedienstete. In seiner letzten, schweren Krankheitsphase war sein Charme verschwunden und er benahm sich wie ein Gutsherr aus alten Zeiten. Klar – so einen Hauch davon hatte er immer schon an sich gehabt. Es kam ja nicht von ungefähr, dass auf meiner Hochzeit ein Gedicht über den Brautvater die Überschrift trug: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Sauerland“. Aber früher war dieses Gehabe freundlich gewesen – das eines großzügigen Gutsherren. Nun war es ins Herrische umgeschwenkt. Paps behandelte das Krankenhauspersonal wie Leibeigene.  Darauf hatte das Personal verständlicherweise so gar keinen Bock und entsprechend schlecht war die Stimmung, als ich ins Krankenhaus einzog.
Ich entwickelte ungeahnte Fähigkeiten. Ich war nie gut im Schmeicheln, aber entdeckte plötzlich, wie gut ich „Süßholz raspeln“ kann, wenn es unbedingt sein muss. Ich bedankte mich im Namen meines Papas wirklich für „Furz und Feuerstein“ – für jede noch so normale Handreichung, die man im Krankenhaus erwarten kann. Und ich wurde zur Erzieherin meines Vaters. Hier kam es uns zu Gute, dass wir eine richtig gute Vater-Tochter-Liebesbeziehung gepflegt haben. Wenn man einen sterbenden Elternteil begleitet, ist wohl nichts besser, als eine heile Beziehung. Da gibt es keine Altlasten aufzuarbeiten, man muss auch nicht vorsichtig Worte abwägen, weil einfach klar ist: Wir haben uns lieb und nichts steht zwischen uns. Und so konnte ich meinen Papa in seinem herrischen Gehabe ironisch parodieren – und er hat es nicht krumm genommen. Er hat sich ehrlich bemüht sich zu bessern und lernte tatsächlich in seinen letzten Tagen noch ordentlich „bitte“ und „danke“ zu sagen.
In dem allerdings, was er nicht wollte, ist er sich treu geblieben. Er wollte nicht umgelagert werden. Das wäre echt nötig gewesen, weil er anfing, sich wund zu liegen. Aber Papa hat Zeit seines Lebens nur auf dem Rücken geschlafen. Er hatte nicht die Absicht, das in seinen letzten Lebenstagen zu ändern. Hier konnte ich die Schwestern überzeugen, ihm einfach seine Würde der Selbstbestimmung zu lassen. Papa wollte auch nicht in eine Flasche pinkeln, die von fremden Frauen gehalten wurde. Die Lösung war dann einfach. Ich war ja da – und ich durfte die Flasche für ihn halten.
Nachdem mein Papa dann friedlich eingeschlafen war – mit seiner Hand in meiner – und die Nachtschwester ihn „schön“ gemacht hatte, sagte sie noch was zu mir: „Diese vollen Haare Ihres Vaters! Und auch sonst! Er war ja wirklich ein attraktiver Mann!“ Ha! Das hatten Legionen von Krankenschwestern schon vor ihr festgestellt!