Diese Erinnerungen von mir sind im "lebenslust"-Special "Gute Besserung" neulich erschienen.
„Herzliches Beileid noch mal“, sagte die Nachtschwester zu mir, nachdem sie
meinen Papa, der gerade für immer eingeschlafen war, frisch und sauber gemacht
hatte. Dabei drückte sie mir herzlich die Hand und fügte hinzu: „Danke, dass
sie die letzten Tage bei Ihrem Vater geschlafen haben. Sie haben uns sehr
entlastet. Er war ja ein schwieriger
Patient.“
Na! Das hatte die Gute sehr höflich ausgedrückt! Mein heißgeliebter Papa
war ein Albtraum von Patient gewesen! Dabei war er bis zum Endstadium seiner
Krebserkrankung ein wirklich charmanter Herr in den Siebzigern. Gerade mit
Krankenschwestern hatte er es gut gekonnt. Während zahlreicher
Krankenhausaufenthalte meiner Mutter hatte er mit Legionen von ihnen fröhlich
geschäkert und ihnen ein Lächeln auf ihre Lippen gezaubert. Lächelnde
Krankenschwestern und Pfleger suchte ich vergeblich, als ich vorübergehend
meine Zelte in Schleswig Holstein abgebrochen hatte, um ihm im Sauerland beizustehen.
Seine Leber hatte begonnen zu versagen. Als ich das zweite Bett in seinem
Privatzimmer bezog, konnte er seines schon nicht mehr verlassen.
So sehr sein Körper auch zusehends verfiel – sein Kopf war bis zum Schluss
ganz klar. Und er wusste genau, was er wollte. Und auch, was er nicht wollte. Nachdem
ich einen halben Tag bei Papa verbracht hatte, wurde mir klar, welchen Streifen
das bedauernswerte Pflegepersonal schon sechs Tage lang mit gemacht hatte. Der
rechte Daumen meines Vaters funktionierte noch ganz hervorragend und betätigte
ständig den Klingelknopf. War das Fenster zu, musste es geöffnet werden, stand
es offen, musste es unbedingt zu. Sein Wasser war alle, er wollte eine Schmerztablette,
einen Kaffee - und immer wieder erwartete er eine Tasse Brühe. Er „erwartete“ –
genau das war das Problem. Da kam kein „Bitte“ oder „Danke“ – er behandelte
Schwestern und Pfleger wie Bedienstete. In seiner letzten, schweren
Krankheitsphase war sein Charme verschwunden und er benahm sich wie ein
Gutsherr aus alten Zeiten. Klar – so einen Hauch davon hatte er immer schon an
sich gehabt. Es kam ja nicht von ungefähr, dass auf meiner Hochzeit ein Gedicht
über den Brautvater die Überschrift trug: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im
Sauerland“. Aber früher war dieses Gehabe freundlich gewesen – das eines
großzügigen Gutsherren. Nun war es ins Herrische umgeschwenkt. Paps behandelte
das Krankenhauspersonal wie Leibeigene. Darauf
hatte das Personal verständlicherweise so gar keinen Bock und entsprechend
schlecht war die Stimmung, als ich ins Krankenhaus einzog.
Ich entwickelte ungeahnte Fähigkeiten. Ich war nie gut im Schmeicheln, aber
entdeckte plötzlich, wie gut ich „Süßholz raspeln“ kann, wenn es unbedingt sein
muss. Ich bedankte mich im Namen meines Papas wirklich für „Furz und
Feuerstein“ – für jede noch so normale Handreichung, die man im Krankenhaus
erwarten kann. Und ich wurde zur Erzieherin meines Vaters. Hier kam es uns zu
Gute, dass wir eine richtig gute Vater-Tochter-Liebesbeziehung gepflegt haben.
Wenn man einen sterbenden Elternteil begleitet, ist wohl nichts besser, als
eine heile Beziehung. Da gibt es keine Altlasten aufzuarbeiten, man muss auch
nicht vorsichtig Worte abwägen, weil einfach klar ist: Wir haben uns lieb und
nichts steht zwischen uns. Und so konnte ich meinen Papa in seinem herrischen
Gehabe ironisch parodieren – und er hat es nicht krumm genommen. Er hat sich
ehrlich bemüht sich zu bessern und lernte tatsächlich in seinen letzten Tagen
noch ordentlich „bitte“ und „danke“ zu sagen.
In dem allerdings, was er nicht wollte, ist er sich treu geblieben. Er
wollte nicht umgelagert werden. Das wäre echt nötig gewesen, weil er anfing,
sich wund zu liegen. Aber Papa hat Zeit seines Lebens nur auf dem Rücken
geschlafen. Er hatte nicht die Absicht, das in seinen letzten Lebenstagen zu
ändern. Hier konnte ich die Schwestern überzeugen, ihm einfach seine Würde der
Selbstbestimmung zu lassen. Papa wollte auch nicht in eine Flasche pinkeln, die
von fremden Frauen gehalten wurde. Die Lösung war dann einfach. Ich war ja da –
und ich durfte die Flasche für ihn halten.
Nachdem mein Papa dann friedlich eingeschlafen war – mit seiner Hand in
meiner – und die Nachtschwester ihn „schön“ gemacht hatte, sagte sie noch was
zu mir: „Diese vollen Haare Ihres Vaters! Und auch sonst! Er war ja wirklich
ein attraktiver Mann!“ Ha! Das hatten Legionen von Krankenschwestern schon vor
ihr festgestellt!
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