Montag, 23. Juli 2012

Zwiespalt

Morgen wird Lydie uns nach mehr als drei Monaten verlassen: Sie zieht dann zu der Familie, die sie ursprünglich eingeladen hat und für die wir nur eingesprungen sind.
Sie zieht mit der Gewissheit, dass die Gebühren für ihren DSH-Vorbereitungskurs in Fulda bezahlt sind - und die 100 Euro für ihre DSH-Prüfung, die sie unbedingt für einen Studienplatz in Deutschland braucht, auch.
Sie zieht mit einem bezahlten Bahnticket Hamburg - Fulda - Hamburg in der Tasche. Einem Ticket, das sie sich nie hätte leisten können, weil das Stipendiumsgeld aus Kamerun erst im Oktober fließen wird - wenn der Studienplatz sicher ist.
Wir vertrauen darauf, dass Gott alles für sie vorbereitet hat. Warum sonst ist sie ohne die Kohle, die sie braucht, "zufällig" bei uns gelandet? Keine Ahnung, was die Eltern sich dachten, als sie Lydie mit 700 Euro auf die Reise schickten. 500 Euro brauchte sie für den ersten Sprachkurs, der sie für die DSH-Vorbereitung legitimierte. Der Rest ging für monatliche Beiträge für Krankenversicherung drauf, die unser Staat fordert, wenn Ausländer in Deutschland studieren wollen. Und natürlich für die Gebühren, die anfallen, wenn Ausländer ihre Visa verlängern lassen wollen.
Damit Lydie ihr Studium wie geplant im Oktober aufnehmen kann, muss sie den bestandenen DSH-Test vorweisen. Rechtzeitig für ihre Pläne gibt es nur einen am 31. August in Fulda - und auch einen Vorbereitungskurs dort für 140 Euro ab Mitte August.
Wie dankbar bin ich Gott für Zugang ins inoffizielle FeG-Netzwerk! Nachdem ich den Pastor der FeG Fulda um Hilfe gebeten hatte, fand sich sofort eine Familie in seiner Gemeinde, die bereit ist, Lydie für drei Wochen in Fulda aufzunehmen. Halleluja!
Immer noch muss Lydie viel Eigenleistung bringen, um tatsächlich ab Herbst in Deutschland zu studieren.
Aber Gott ebnet ihr offensichtlich Wege.
Wege, die ihre Eltern ihr nicht ebnen konnten. Die schickten sie nach Deutschland ohne das nötige Geld, das sie braucht.
Der Zwiespalt, der sich in Geldfragen fast immer auftut: Ist es richtig, dass wir für Lydie einspringen? Oder rechnen Leute aus der dritten Welt einfach mit der Großzügigkeit in reichen Nationen?
Die Vorstellung, Teil eines Kalküls zu sein, gefällt mir natürlich überhaupt nicht. Macht mich sauer.
Andererseits: Wir haben zur Zeit die Möglichkeit, Ärmeren finanziell auszuhelfen. Ist es dann nicht egal, falls Jemand das ausnutzen will? Sollten wir nicht einfach dankbar dafür sein, dass wir nicht betteln müssen? Und was ist mit dieser Ansage Jesus, dass wir auch die andere Wange hin halten sollten? Könnte das auch bedeuten: Gib ab, selbst wenn dich Jemand ausnutzen will?
Für Tipps bin ich - wie immer - sehr dankbar!

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Kati, ich habe vor kurzem deinen Blog hier gefunden und dachte, heute melde ich mich mal. :)

Ich war ja nur ganz kurz in Afrika und habe darüber hinaus nur etwas Kontakt dorthin über den Verein Hilfe für die Massai (vielleicht sagt dir "Mama Maissai" etwas?).

Vielleicht gleicht sich das dadurch wieder aus, dass ich oft mit anderen Augen hinsehe als andere und manches schneller durchschaue (dass mir dafür leider oft das Offensichtliche entgeht, lassen wir jetzt mal beiseite.) ;)

Jedenfalls glaube ich nicht, dass die Tatsache, dass ein Kind aus Afrika mit zu wenig Geld losgeschickt wird, unbedingt etwas mit Ausnutzung zu tun hat. Zumindest nicht in dem Sinn, in dem wir es verstehen. Die Lebensart und Mentalität unterscheiden sich einfach zu sehr von unserer Denkweise.

Wenn man aus einem Land kommt, in dem Gastfreundschaft ganz anders praktiziert wird, schickt man sein Kind vielleicht mit ganz anderen Vorstellungen in unseren Kulturkreis, als wir es denken.

Und da euer "Mädchen" noch immer eine Menge selbst beitragen muss zu ihrem Glück, finde ich es toll, dass ihr sie unterstützt.

Sie verliert dadurch ja nicht die Eigenverantwortung.

Ganz liebe Grüße aus Lübeck, Gaby Duve

Annekatrin Warnke hat gesagt…

Hallo Cousine!

Dat iss ja nett, dich hier auf meinem Blog zu treffen!
Danke, dass du meine Überlegungen ernst nimmst.
Mir ist schon klar, dass wir in Deutschland wenig über echte Gastfreundschaft wissen. Und es ist auch überhaupt kein Problem gewesen, Lydie Bett, Bad, PC, Essen...zur Verfügung zu stellen und sie überall mit hin zu nehmen und einzuladen - auf Ausflüge, in Restaurants und so.
Zum LEBEN brauchte Lydie hier kein Geld - und das ist auch völlig richtig so.
Aber denkst du, die Eltern können einfach so erwarten, dass man ihrer Tochter die Vorstufen ihrer Ausbildung finanziert? Klar sagt Lydie, dass sie uns das Geld zurückzahlen will. Aber wenn sie erst gar nicht studieren kann, kann sie das gar nicht...
Na ja - warten wir die Zukunft ab.
Aber da ich dich nun schon mal fragen kann: Welche Erfahrung hast du denn mit Afrikanern und ihrer Wahrheitsliebe?
Bis bald und liebe Grüße: Kathi

Anonym hat gesagt…

Hui, das ist aber eine schwere Frage.

Da uns ja hier in der Familie ADHS und Asperger Autismus nicht fremd sind, fängt das Problem schon an, zu definieren, was überhaupt genau Wahrheit ist. Schließlich gibt es da schon zwischen meinem Sohn und mir ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. ;)

Dann stellt sich die Frage, ob man es mit Christen zu tun hat oder nicht. Und selbst in christlichen Kreisen sogar innerhalb unserer Gemeinden ist ja auch jeder in seiner Erkenntnis auf einem anderen Level. Mit dieser Erklärung versuche ich selber zu verstehen, warum manche Dinge, die Christen in Afrika tun, weit über meine Toleranzgrenzen hinausgehen. (Z. B. ist eine Bekannte von mir auf eine Organisation ähnlich der Nigeria Connection hereingefallen. Sie war überzeugt, dass es sich um bekennende Christen handelt, die in Not sind. Man sagte ihr später, dass es sich wahrscheinlich wirklich um Christen handle, die kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sie mit Lügengeschichten abzocken.)

Sven hat auch so seine Erfahrungen in Afrika gemacht. Er hat z. B. Menschen kennengelernt, die ihm immer bereitwillig den Weg zeigten, wenn er nicht weiter wusste. Nur leider zeigten dann auch drei Leute in drei verschiedene Richtungen ... Man ist eben immer hilfsbereit, auch wenn man die Wahrheit nicht kennt.

Dann ist es für uns oft schwer mit der Spontaneität klar zu kommen. Wir Deutschen sind eben die geborenen Planer. Wir haben gerne alles unter Kontrolle. Hat ja auch seine Vorteile.

Aber wenn ein Afrikaner dir sagt, dass er dich morgen ganz bestimmt besuchen kommt und du eine Uhrzeit mit ihm abmachst, heißt das noch lange nicht, dass er auch kommt. Und erst recht nicht, dass er sich Gedanken darüber macht, dass du auf ihn warten könntest. Eben diese "Kommste-heut-nich-kommste-morgen-Mentalität".

Ich glaube, man muss sich in solchen Fragen vorsichtig an die Person rantasten. Es ist für mich ein Unterschied, ob derjenige sich dessen bewusst ist, dass er mich anlügt oder nicht. Und wenn ja, warum tut er es trotzdem. Ist es eine Notlüge, Stolz, Scham, Oberflächlichkeit oder Egoismus, werde ich absichtlich ausgenutzt, ist es ein Verhaltensmuster oder hat es ganz andere Gründe?

Und dann kommt die Frage, wie ich damit umgehe. Lasse ich mir nicht anmerken, dass ich die Lüge durchschaut habe oder spreche ich es offen an. Und was bewirke ich jeweils damit?

Und warum macht es mir überhaupt etwas aus? Weil ich Deutscher bin? Weil ich mich im Recht fühle? Weil es mich verletzt? Weil ich es ja gut meine und deshalb auch Erwartungen habe und nicht als Dank belogen werden will?

Tja, nicht einfach die Frage nach der Wahrheitsliebe zu beantworten.

Fortsetzung folgt ...

Anonym hat gesagt…

Fortsetzung ...

Im Missionshaus Bibelschule Wiedenest und in Rumänien habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Mentalität der Afrikaner und vieler Ostblock-Christen sehr ähnlich ist. In der Bibelschule hatten wir z. B. eine Schülerin, bei der ich auch oft nicht genau wusste, wie ehrlich sie ist und ob ich mich auf sie verlassen kann. Sie regte sich oft über unsere Genauigkeit auf. Aber nach einiger Zeit hatte sie sich so angepasst, dass sie selbst so ordnungsliebend, gewissenhaft und pünktlich wurde, wie wir anderen. Nun regte sie sich selbst über diejenigen auf, auf die sie sich nicht verlassen konnte. Vielleicht braucht Lydie nur etwas Zeit, um sich hier anzupassen. Und ihr habt das Pech, die ersten zu sein, die sie damit konfrontieren, wie es hier läuft.

Ganz gut finde ich, dass Lydie das Geld zurückzahlen will. Das haben wir bei Angelika Wohlenberg (Mama Massai) gelernt. Es gibt ja inzwischen einige Filme über sie. In einem Film muss eine schwangere Massai-Frau in ein Krankenhaus gebracht werden und Mama Massai fährt sie hin. Dafür sollen die Massai auch einen Beitrag zahlen. Und obwohl das Kamerateam das Geld zusammenlegen wollte, hat Angelika darauf bestanden, dass die Massai selbst dafür aufkommen. Das hat vor allem damit zu tun, sie nicht ganz aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Sie sollen sich nicht auf die Msungus verlassen. Die Weißen, die schon immer alles richten werden. Sie sollen ihren Beitrag leisten, um ihren Stolz zu bewahren und nicht verlernen, für sich selbst zu sorgen.

Am besten wäre es wohl immer, wenn jede Seite von der anderen das Positive lernt. Wir können uns insbesondere von der Leichtigkeit und Fröhlichkeit der Afrikaner und ihrer Gastfreundschaft eine Scheibe abschneiden. Sich die guten Eigenschaften bewusst zu machen, hilft dann auch die schweren Zeiten zu überstehen, wenn wir mal sauer sind oder verletzt.

Soweit meine Gedanken zur Wahrheitsliebe. Hoffentlich helfen dir die Zeilen ein bisschen weiter.

Liebe Grüße, Gaby

Annekatrin Warnke hat gesagt…

Cool! Die Lust am Schreiben und die Fähigkeit, Gedanken zu ordnen und sie anderen plausibel zu machen, liegr wohl doch in der Meloh-Seite der Familie. :-)
Vielen Dank für deine Gedanken, Gaby! Viele davon habe ich mir auch gemacht - und tatsächlich habe ich von der Fröhlichkeit von Lydie viele positive Impulse gewonnen!
Wenn ich demnächst mehr Zeit habe, schreibe ich dir ne Nachricht per Facebook, ok?
Jetzt aber hurtig ins Bett! :-)
Kathi

Marlis hat gesagt…

Liebe Annkathrin
hier spricht Marlis (vom RAD) ich finde es gut, dass ihr dem Mädel helft....ich sammle für ein Mädel aus dem bürgerkriegsgeschädigten Burundi....sie fiel durch die 1. D-Sprachprüfung (da hatte sie noch keine finaz. Unterstützung)...bei mir hat sie im Haushalt geholfen und dann wurde mir klar, dass ich ihr durchs Medizinstudium helfen will. Eine dirketere Entwicklungshilfe finde ich, als wenn man Geld anonym in eine aktuelle Krisensit. überweist. Und man weiß, dass doch ein riesiger Teil in den dicken Organisationen hängenbleibt, ganz logo, weil Gehälter hierzulande teuer sind.
Meine Bitte an S. lautete damals: wenn Du mal den Nobelpreis in Medizin erhältst, dann darfst Du es zurückzahlen....nein, habe ich mich gleich korrigiert....du wirst es dann anderen geben, die es brauchen. Mir hat mal eine Brot geschenkt und: als ich ihr Geld geben wollte sagte sie: Nein du gibst einem anderen Brot, ders braucht....so soll es sein.
AMEN
freu mich, dich übernä Wo zu sehen...
LG
Marlis Büsching