Folgenden Text habe ich neulich mal entworfen. Besonders wichtig ist mir das "Fette". Auch ich trauere aus ganzem Herzen mit "Paris". Aber ich habe ebenfalls Angst davor, dass diese Trauer gegen Flüchtlinge instrumentalisiert wird. Meine Generation und die Nachfolger dürfen nicht vergessen, dass es nicht unser Verdienst ist, in einem sicheren Land zu leben...
Um 7.15 klingelt mein Wecker. Ich sehe durch die Schlitze der Jalousie:
Dieser Tag im Oktober beginnt ungemütlich nass und wahrscheinlich auch kalt.
Ich kuschel mich noch mal fünf Minuten unter meine warme Bettdecke. Mir geht es
erstaunlich gut. Gestern fühlte ich mich so richtig krank: verstopfte Nase,
Kopf- und Halsschmerzen, Husten – das ganze fiese Erkältungsprogramm. Zur Nacht
hatte ich Aspirin genommen und offensichtlich hat es gewirkt. Mein erster Dank
heute Morgen geht an die unbekannten Erfinder dieses Wirkstoffes. Später werde
ich googlen, wem ich diese Wohltat zu verdanken habe.
Gegen 7.35 sitze ich im Bademantel am Frühstückstisch, freue mich auf
meinen Kaffee und das Hamburger Abendblatt. Das fischt mein Mann jeden Morgen
kurz vor Sieben aus dem Briefkasten. Er findet es dort zuverlässig von Montag
bis Samstag. Und das nur, weil unser Zeitungszusteller zu nachtschlafender Zeit
bei Wind und Wetter unterwegs ist, um uns die Morgenlektüre zu sichern. Danke,
Sahid! (Wir kennen seinen Namen, weil wir immer zu Weihnachten eine Grußkarte
von ihm in der Post haben. Und natürlich setzen wir unseren Dank dann auch in
ein angemessenes Weihnachtsgeld um.)
Heute Morgen titelt das Abendblatt in fetten Lettern: „Auch im Winter
müssen Flüchtlinge in Zelten leben“. Das trübt meinen Kaffeegenuss. Gerade
auch, weil ich noch ganz frisch weiß, wie es einem mit einer fiesen Erkältung
geht. Und dann auch noch frieren müssen? Ganz gruselige Vorstellung!
Gleichzeitig bin ich dankbar dafür, dass ich kein Flüchtling bin. Das ist
ein Privileg, das ich mir nicht selbst verdient habe. Noch nicht mal meine
Eltern haben etwas dazu beigetragen, sie waren völlig unpolitisch. Und einer
meiner Großväter war sogar Zeit seines Lebens kein Hitler-Feind…
Trotzdem darf ich die Früchte genießen, welche die Väter des Grundgesetzes
erarbeitet und viele politisch handelnde Menschen in unserem Land verteidigt
haben. Ich sollte mir angewöhnen, jeden Tag dafür „danke“ zu sagen!
Da fällt mir ein: Dankbar bin ich auch für meine Kirchengemeinde. Sie hat
ein „Willkommen-Cafe“ für Flüchtlinge in ihren Räumen etabliert. Dort arbeite
ich mit und habe so die Chance, wenigstens Einige von ihnen zu unterstützen.
Wir helfen dort beim Deutschlernen und knüpfen Beziehungen. Wie schön war das
neulich mit den Iranerinnen Leila und Masoumeh bei mir im Garten! Die Gespräche
mit ihnen laufen noch ein bisschen holprig, aber die Beiden machen rasante
Fortschritte in Deutsch. Und mein Horizont wird unglaublich erweitert.
Heute ist übrigens Donnerstag, da hat das Abendblatt immer eine Beilage,
die u.a. neue Kinofilme vorstellt. Da freue ich mich immer drauf. Ich gehe
gerne ins Kino und muss dafür nicht mal nach Hamburg rein fahren. In meiner
Kleinstadt gibt es tatsächlich ein
„Dorfkino“! Das erreiche ich in knapp
vier Minuten zu Fuß. Nur einmal links die Sackgasse runter, dann den
Trampelpfad durch die Hecke, eben über die Bundesstraße – und schon bin ich da.
Montagabend waren wir in „Alles steht Kopf“. Das ist der neueste
Pixar/Disney-Film und er ist ganz wunderbar. Sehr witzig und sehr klug. Was bin
ich den Kinobetreibern dankbar, dass sie vor 15 Jahren das Risiko eingegangen
sind, diesen Standort zu wählen. Inzwischen ist dieses Vergnügen aus unserem
Städtchen gar nicht mehr weg zu denken.
Wobei richtig gute Filme ja nicht nur Vergnügen machen, sondern auch Tränen
fließen lassen. So wie „Honig im Kopf“ – der vielleicht beste deutsche Film des
Jahres. Und das trotz Til Schweiger in einer Hauptrolle! Den mag ich als
Schauspieler so gar nicht. Allein mal dieses unsägliche Genuschel! Aber er ist
ein guter Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Für „Honig im Kopf“ und die
Besetzung der Hauptrolle mit Dieter Hallervorden kann man ihm echt mal ein
dickes „Danke“ sagen.
Unglaublich! Es ist erst 8.15 und mir sind schon so viele „Bedankemichs“
eingefallen. Nach dem Duschen werde ich als erstes die Mülltonne wieder aufs
Grundstück fahren. Und in Gedanken werde ich einen Gruß an die Müllmänner
schicken. Die sind treu und brav bei Wind und Wetter unterwegs, um meinen Dreck
weg zu machen. Später will ich versuchen, unsere Postbotin abzufangen. Es wird
Zeit, ihr mal zu sagen, dass ich für ihre verlässliche Dienstleitung echt
dankbar bin. Sehr schade übrigens, dass ich so gar nicht singen kann. Das wäre
mal was, für sie die „Merci-Werbung“ zu inszenieren! Vorstellen kann ich mir
das gut: Während die Postbotin an meinem Briefkasten nestelt, stürze ich,
untermalt von Pauken und Trompeten, mit meiner Schokoladentafel aus der
Haustür. Und schmetter der Dame voller
Inbrunst entgegen: „Du bist der hellste Punkt an
meinem Horizont! Du bist der
Farbenklecks in meinem „grau-in-grau“! Du
bist das Hänschenklein in meinem Kinderlied! Merci,
dass es dich gibt!“
Nun ja – die Postbotin, die Müllmänner, der
Zeitungszusteller und Til Schweiger dürfen auch mir „danke“ sagen: Ich erspare
ihnen diese abstruse Darbietung.